Vor 60 Jahren fertigte Heinz Benkewitz das kleinste Skalpell der Welt. Heute führt sein Enkel Jakob Kunert die Schleiferei in Burg weiter.

Auf mattem Samt glänzen zwei chirurgische Instrumente in einer hölzernen Schatulle. Ein Skalpell, nicht größer als die einstige 1-Pfennig-Münze. Dazu eine Pinzette, noch ein gutes Stück winziger, mit mikroskopisch kleinen Zähnen, die ineinander greifen und mit dem bloßen Auge nicht erkennbar sind. Zweifelsohne eine einzigartige handwerkliche Meisterleistung! Heinz Benkewitz, einst Instrumentenschleifmeister in Burg, hat diese Winzlinge 1962 gefertigt. Und es damit knapp 30 Jahre später ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft. So bezeugt es die Urkunde in der Burger Werkstatt: „Wir bestätigen, dass Heinz A. Benkewitz den Rekord in der Fertigung des kleinsten Arztbestecks der Welt aufgestellt hat. Berlin, im Oktober 1990“, heißt es dort. Daneben hängt Benkewitz’ Meisterbrief von 1959.

Instrumente für über 50 Krankenhäuser

Benkewitz war als 22-jähriger Geselle aus der Lutherstadt Eisleben nach Burg gekommen, wo er sich anfangs eine Werkstatt mit einem hier ansässigen Schleifer teilte, von dem er auch viel Werkzeug übernahm. Später zog er, inzwischen mit eigener Werkstatt, in das bereits damals mehr als 150 Jahre alte Haus in der Scheunenstraße ein. Er spezialisierte sich auf Medizintechnik. Seine geschärften Skalpelle und Scheren lieferte der Instrumentenschleifer an mehr als 50 Krankenhäuser in der gesamten DDR. „Irgendwann wollte mein Opa ausprobieren, wie klein ein solches chirurgisches Werkzeug sein kann, das trotzdem funktioniert. Und er wollte sich selbst beweisen, dass er das hinbekommt“, sagt sein Enkel Jakob Kunert, gleichfalls Instrumentenschleifer. Der 29-Jährige, der das Handwerk in der bereits vierten Generation vertritt, erzählt, dass dem Großvater als Rohling eine sogenannte Ampullen-Säge diente. Damit hätten Krankenschwestern einst die gläsernen Ampullen für Spritzen aufgetrennt. „Der sehr harte Stahl war für Opas Experiment bestens geeignet.“ Was auch für die kleinste Pinzette der Welt galt, die daraus mitentstanden sei. „Sie misst nur 14 Millimeter“, so Kunert. „Opa hat beide Werkzeuge originalgetreu im Maßstab 1:10 unter dem Mikroskop gefertigt.“

Knapp 30 Jahre nach der Entstehung besuchten Medizinstudenten aus der Pfalz die Burger Benkewitz-Werkstatt. „Sie wussten von den Miniaturen, und nachdem Opa sie ihnen gezeigt hatte, wollten sie sich sogleich mit den Guinnessbuch-Machern in Verbindung setzen“, sagt Kunert. Nur wenige Wochen später sei der Weltrekord besiegelt gewesen.

Alles, was schneiden muss

Dass er selbst die Werkstatt seines Großvaters weiterführen würde, sei für Kunert eigentlich immer selbstverständlich gewesen. „Zumal ich Messer und alles, was scharf ist, ohnehin von jeher faszinierend fand.“ Allerdings schleife und schärfe er heute nicht mehr vordergründig für Ärzte, sondern eher für Tiermediziner und Hundesalonbetreiber. Doch eigentlich mache er so ziemlich alles scharf, was die Leute ihm bringen und was schneiden muss: Friseurscheren, Fleischermesser, Hackebeile, Äxte, Sägeblätter ... Wie geschliffen werden soll, das entscheiden seine Kunden: Einfach nur scharf? Scharf und hübsch, wobei Kunert die Flächen zusätzlich poliert. Oder komplett überarbeitet, dann wird die Klinge zur Schneide hin deutlich dünner geschliffen und zudem poliert.

Mit Fingerspitzengefühl

Das Wissen dafür hat er von seinem Großvater erlangt. Und der wiederum habe es zu großen Teilen bereits von seinem Vater übermittelt bekommen. Auch Kuhnerts Eltern beherrschen das Instrumentenschleifen von der Pike auf, üben derweil aber andere Berufe aus. „Nach der Wende trug das Geschäft keine zwei Familien“, erklärt er.

Seinen Gesellenbrief, den er nicht ohne Stolz zeigt und der nicht weit von dem des Großvaters hängt, hat Meister Benkewitz persönlich ausgestellt. „Bei ihm habe ich gelernt. Den Ausbildungsberuf Instrumentenschleifer gibt es ja heute so gar nicht mehr.“ Heute würden hauptsächlich Maschinen und Automaten das Schleifen übernehmen, und an denen lerne man auch. Er aber habe seinem Großvater über die Schultern und auf die Hände geguckt. „Als Kinder waren wir oft bei den Großeltern und ich am liebsten in der Werkstatt. Hier gab es so viel Faszinierendes. Ich wollte mir nichts entgehen lassen.“

2011 hat Jakob Kunert seine Ausbildung abgeschlossen und die Werkstatt des inzwischen verstorbenen Großvaters übernommen. Hier scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. „Das Meiste ist noch von ihm“, erklärt Kunert. Und da kommt einiges zusammen: Die alten Maschinen mit ihren großen Schleifsteinen links und rechts, vor denen jeweils ein Hocker steht. Zahllose Schleifscheiben, klein wie Münzen bis hin zur Größe eines Autoreifens, stapeln sich auf den Regalbrettern. Dazu dutzende Instrumente und Werkzeuge. Selbst ein aufgehängtes Katzenbild und eine offenbar stark resistente Topfpflanze haben es bis in die Gegenwart geschafft. Dazu gesellt sich allerlei weiteres Equipment, Material, Ersatzteile ... schier unüberschaubar. „Das täuscht“, kommentiert Kunert ­lachend. „Ich brauche alles und finde alles.“ Schließlich kämen zu ihm auch Kunden mit außergewöhnlichen Aufträgen, wie zum Beispiel Ringmessern aus dem Repertoire des Hals-Nasen-­Ohren-Arztes. „Das macht dir ja hier weit und breit sonst keiner mehr scharf“, sagt Kunert.

Wenn’s scharf sein muss

Ein ausgeprägtes Fingerspitzengefühl, darauf komme es in seinem Beruf besonders an. „Und auf sehr gute Augen.“ Auch Ausdauer sei oft gefragt. Nicht immer werde sein handwerkliches Können allerdings wertgeschätzt, räumt er ein. „Eine Schere für fünf Euro bringt keiner zum Schleifen.“ Die erledigt so ihren Job, wenn auch nicht besonders gut. Notfalls wird eine neue gekauft – oft billiger als das Schleifenlassen. „Präzisionsarbeit am Schleifstein dauert, und das will nicht jeder bezahlen.“ Anders sehe es zum Beispiel bei hochwertigen Scheren für Schneider und Friseure aus. „Sie sind auf bestens funktionierende Werkzeuge angewiesen.“

Dass der Benkewitz-Enkel sein Handwerk ebenso wie sein Meister beherrscht, zeigt er uns zum Schluss. Er hat es dem Großvater gleichgetan und ein noch winzigeres Skalpell gefertigt. Aber: „Kein Ding“, winkt er ab. Es sei zwar tatsächlich noch kleiner, aber lange nicht so hübsch. „Ich wollte halt nur wissen, ob ich das kann.“