Sie hören auf wohlklingende Namen wie Leyla, Glorietta, Adretta oder Goldmarie. Sie haben Rundungen an den richtigen Stellen. Sie bestechen mit einprägsamen Augenfarben. Und ja, sie sind seine große Leidenschaft. Die Rede ist – natürlich – von Kartoffeln. Und von Hans-Horst Borg, dem Kartoffeldoktor. Der diplomierte Landwirt und Doktor der Agrarwissenschaften ist Kartoffelprüfer. Bevor er im März dieses Jahres seinen wohlverdienten Ruhestand antrat, leitete der Schartauer über viele Jahre die vor den Toren Magdeburgs gelegene Prüfstelle des Bundessortenamtes, wo die beliebten Knollen geprüft und zugelassen werden.
Für Kartoffeln interessiere er sich schon immer, sagt der 66-Jährige. Und das nicht nur beruflich. Auch im privaten Garten in den Schartauer Elbauen gedeihen verschiedene Sorten. „Hier zeige ich meinen vier Enkelkindern, wie die Knollen in den Boden kommen, welche Pflege sie brauchen, wie und wann sie geerntet werden. Und wenn es ans Verkosten geht, dann schmeckt die Marke Eigenanbau nun mal am allerbesten“, fügt er lachend hinzu.
Seine Heimat, das Jerichower Land, biete mit seinen Böden und klimatischen Bedingungen gute Voraussetzungen für den Kartoffelanbau. „Unsere Böden hier sind in der Regel leicht, das mögen die Knollen. Auch das Wasser, das sie zum Wachsen brauchen, ist vorrätig. Und als Nährstoffe gibt’s Mist oder Dünger.“
Glatte Schale, kräftige Farbe
Was eine gute Kartoffel ausmacht? „Hier bei uns wird vor allem Wert darauf gelegt, dass sie eine möglichst kräftige gelbe Farbe, flache Augen sowie eine glatte Schale hat, die sich leicht schälen lässt“, sagt Borg. Und fügt schmunzelnd hinzu, dass – im Unterschied zu ihm als Prüfer, der daraus wichtige Eigenschaften ableitet – den Käufern die Augenfarbe der Knolle so ziemlich egal sei.
Ob fest- oder mehligkochend entscheidet für ihn immer das jeweilige Gericht, das auf dem Speiseplan steht: Ein guter Braten brauche mindestens eine vorwiegend festkochende Knolle, die sich gut zerdrücken lässt. „Die zusammen mit der Soße – das ist echt was Feines“, schwärmt der Kartoffelliebhaber.
Auf Herz und Nieren geprüft
Insgesamt gibt es in Deutschland rund 220 zugelassene Kartoffelsorten – davon etwa 150 Speisesorten und 70 sogenannte Wirtschaftssorten. Von den 150 Speisesorten sind rund 100 vorwiegend festkochend. Weltweit werden mindestens 10.000 verschiedene Sorten angebaut.
Jede in Deutschland zugelassene Kartoffelsorte hat Borgs langjährige Arbeitsstelle, das Bundessortenamt, passiert und von ihm höchstpersönlich eine Prüfungsnote und den Zulassungsstempel bekommen. „Die beste in meiner Zeit vergebene Note war eine Zwei“, sagt er. Eine Eins habe er persönlich nie vergeben.
Während ihrer zweijährigen Prüfung habe sich die Kartoffel einer Werteprüfung und einer sogenannten Registerprüfung zu unterziehen. Borg erklärt: „Die Werteprüfung ermittelt die ackerbaulichen Eigenschaften einer Sorte, zum Beispiel die für den Anbauer wichtigen Krankheitsresistenzen.“
Die Registerprüfung sei wichtig für den Schutz der Sorte. „Dazu untersuchen wir unter anderem rund 40 morphologische Merkmale: die Knollenfarbe, die Fleischfarbe, die Schalenfarbe, die Augenfarbe …“ Wichtig dabei: Dass jede Sorte so beschrieben wird, dass man sie 100-prozentig wiedererkennt und sie sich von anderen Sorten unterscheidet. Dazu werden inzwischen sogar DNA-Tests gemacht.



Aus der Region
Theoretisch können alle in Deutschland zugelassenen Sorten auch im Jerichower Land angebaut werden. In der Praxis entscheiden darüber die regionalen Vorlieben. Borg nennt diese Beispiele: „Gern bei uns in der Region angebaut werden Sorten wie Belana, Agria, Simonetta und Marabell. Auch die Annabelle, Wega, Emiliana, Talent, Lilly, Regina, Goldmarie und Merle kommen in den Jerichower-Land-Boden. Und natürlich die Leyla – Borgs Geheimtipp. „Die ist so lecker, die schmeckt auch ohne Butter“, kommentiert er. Was die Kartoffel für ihn so beliebt macht? „Sie ist gesund, hat mehr Vitamin C als ein Apfel und schmeckt gut.“ Zudem ließe sie sich vielseitig zubereiten: als Auflauf, Suppe, Bratkartoffel, Beilage zum Braten, Kartoffelbrei … „Gestampft oder püriert mit einem Schuss Milch, einer Messerspitze Butter, einer Prise Muskat und Kümmel nach Geschmack. Köstlich!“
Wichtig ist Borg, dass seine Kartoffeln aus der Region stammen. „Warum soll ich Knollen aus Ägypten essen, wenn ich eine frühe Sorte aus dem Jerichower Land bekommen kann? Die mindestens genauso gut, wenn nicht besser schmeckt, mit der mein Geld in der Region bleibt und ich zugleich der Umwelt Gutes tue“, sagt er resolut. Wenn der eigene Garten noch nicht so weit sein sollte oder er Abwechslung auf den Tisch bringen will, dann geht er auf den Wochenmarkt oder in einen der Hofläden im Jerichower Land. Zum Beispiel der Bauernmarkt in Hohenseeden, den kann er sehr empfehlen. „Dort gibt es viele Sorten aus regionalem Anbau, die man ausprobieren kann.“ Frische garantiert.
Ob es für ihn auch mal eine exotische Knolle sein darf? Etwa eine blaue oder rote Kartoffel? Auch die kennt er natürlich, hat sie gekostet und geprüft. „Für mich sind diese Sorten allerdings eher etwas fürs Auge, weniger für den Gaumen. Ein Braten mit Soße und blauen Kartoffeln, das ist wie grüner Ketchup – da spielt mein Kopf nicht mit.“
Die weibliche Knolle
Bleibt die Frage, warum so viele Kartoffelsorten weibliche Namen tragen. „Weil es ‚die Kartoffel‘ heißt, haben die Züchter früher die Namen ihrer Frauen und Töchter an die Knollen vergeben“, so der Fachmann. Dann kam die weibliche Verwandtschaft an die Reihe, später ergänzt um Vogel- und Phantasienamen. Und dann erzählt Borg zum Stichwort Namen noch diese Anekdote: Im Jahr 2016 startete ein Berliner Koch eine Bundestagspetition (Nr. 66 662). Er wollte damit durchsetzen, dass jede fünfte Kartoffelsorte einen männlichen Namen erhalte. Wie ernst das gemeint war? Unklar. Jedenfalls sei er damit nicht durchgekommen. Vielleicht tröstet ihn ja, dass es heute auch Kartoffelsorten mit Namen wie Albatros, Carlos, Ikarus, Rambo, Tarzan oder Triton (nicht alle davon sind Speisesorten) gibt. „Der Kartoffel selbst ist das am Ende ohnehin egal“, sagt Borg augenzwinkernd.