Postelein, Pimpinelle, Pfefferkraut: Viele Jahrhunderte alte Gewächse gelten heute als Unkraut. „Zu Unrecht“, sagt Manuela Pelloth und nimmt uns mit auf eine Zeitreise durch den Garten des Klosters Jerichow.

Wir starten am alten Schornstein, wo Kräuter und Duftrosen feine Nasen auf ihre Kosten kommen lassen. Nächster­ Stopp ist am Wiesensalbei. Hier gibt Manuela Pelloth, gelernte Floristin und seit 2017 im Klos­tergarten tätig, einen Überblick über ihren Arbeitsplatz. Der schmiegt sich direkt an die his­torischen Klostermauern. Angelegt wurde der Garten im Frühjahr 2003. Er beherbergt Pflanzen, die schon vor dem 15. Jahrhundert wuchsen. „Unser Klosterstift wurde bereits 1552 aufgelöst. Die Anlage wurde seither auch landwirtschaftlich genutzt“, erzählt die 46-Jährige. Allerdings gebe es keine Unterlagen zum ursprünglichen Klostergarten mehr. „2002 regten der Heimatverein und die Stadt Jerichow die Neuanlage des Gartens an und beauftragten damit nach einer Ausschreibung zwei Berliner Studentinnen der Landschaftsarchitektur.“ Entstanden sei bewusst keine Kopie der damaligen Anlage. „Unser Garten lehnt sich an die Vergangenheit an“, präzisiert Manuela Pelloth.

Wegnaschen statt Wegschmeißen

Bei den Hochbeeten angekommen, treffen wir auf Löwenzahn, Rucola, Postelein, Fenchel, Gartenkresse, Senf, Pfefferkraut und einiges mehr. Manuela Pelloth zeigt und erklärt: Zum Beispiel die Haferwurzel, die früher als Kartoffelersatz galt. Oder die Zuckerwurzel, ein beliebtes Naschwerk. „Süßes gab es ja kaum, und Honig bekam nur, wer krank war.“ Dazu gesellen sich die Gartenmalve, die bei Erkältungskrankheiten genutzt wurde, Beifuß, die älteste Heilpflanze überhaupt, Pimpinelle als Petersilienersatz, Wegwarte, Fenchel, Rucola, der sich inzwischen wieder großer Beliebtheit erfreut, Löwenzahn, der nicht nur von Kopf bis Fuß essbar ist, sondern aus dessen Wurzel sich sogar Kaffeeersatz herstellen lässt. „Sammeln, trocknen, in der Pfanne anrösten und dann zermahlen. Sehr gesund“, weiß die Gärtnerin. Den Postelein, eine Salatpflanze, könne man auch so vernaschen. „Er ist eine der wenigen Pflanzen, die Omega-3-Fettsäuren enthalten. Und damit für alle Nichtfischesser die ideale Ergänzung für den Speiseplan“, erfahren wir. Auch als Deko eigne sich das Pflänzchen, das im Frühjahr und Herbst wächst. Im Sommer kommt dann der Sommerportulak. „Mit im Wesentlichen denselben Inhaltsstoffen“, erklärt sie. „Deswegen braucht er auch nicht als Unkraut weggeschmissen zu werden. Vielem, was im Mittelalter gewachsen ist und genutzt wurde, widerfährt heute leider genau dieses Schicksal.“

Es gibt kein Unkraut, bloß Beikraut

Für Manuela Pelloth gilt: Es gibt kein Unkraut, bloß Beikraut. Und im Garten gebe es nichts Schlimmeres als unbedeckte Erde. „Wer seinen Garten pingelig sauber hält, sämtliches Beikraut entfernt, der macht das ganze Bodenleben kaputt und vernichtet grünes Gold.“ Ihr Tipp an alle Gartenfreunde: „Bevor ihr euch ans Unkrautjäten macht, kommt in den Klostergarten, schaut euch um und entscheidet dann. Denn so manches von dem, was da wächst, ist nicht nur genießbar, sondern zugleich auch sehr gesund.“

 

Disteln zum Kämmen

Neben den Hochbeeten lädt ein Gartenhäuschen zum Verweilen und Informieren ein. Hier gibt es allerlei getrocknetes Getreide, neben Pastinaken, Koriander, Anis als Saatgut und getrockneten Disteln, mit denen im Mittelalter die Schafsfelle vor dem Spinnen gekämmt wurden. „Das Wissen darüber habe ich mir alles angelesen. Zumal wir hier ja biologisch ausgerichtet sind, alles biologisch bekämpfen, egal ob Mehltau oder Blattlaus. In meiner Ausbildung wurde das mit Chemie geregelt. Also habe ich mich weitergebildet. Weil es mich selbst interessiert und weil ich auch die Fragen beantworten will, die unsere Besucher bei meinen Führungen stellen“, sagt sie. Und dann verrät sie noch, dass sie sich sogar einen privaten Kräutergarten mit alten Sorten angelegt habe. „Für den Fall, dass hier mal etwas nicht gedeiht, dann kann ich aushelfen.“

Brennnesseln gegen Blattläuse

Auf den langen Reihen mit Flachbeeten, die wir inzwischen erreicht haben und die an die mittelalterliche Feldwirtschaft angelehnt sind, finden sich neben alten Getreidesorten auch vielfältige Kräuter und Feldfruchtpflanzen. Ganz hinten wachsen die sogenannten Färberpflanzen. Darunter Färberwaid, das deutsche Indigo, das zum Blaufärben verwendet wurde. Das Färberkrapp für rote Farbtöne fühlt sich an wie Schmirgelpapier. Wer einen Orangeton erzeugen möchte, der kann auf die Rhabarberwurzel zurückgreifen. Und was ist eigentlich mit der Brennnessel? „Die ist nicht nur als Tee, sondern auch als Jauche nutzbar. Im Verhältnis eins zu drei mit Wasser verdünnt, etwas Seifenlauge hinzugefügt, eignet sich Brennnesseljauche als biologisches Pflanzenschutzmittel. Zum Beispiel zum Besprühen von Rosen. Die kriegen schöne starke Blätter und die Blattlaus beißt sich einen Zahn aus“, erklärt Manuela Pelloth und lacht.

Eine ihrer Lieblingspflanzen ist das Seifenkraut, mit dem sich Hände und Haare ebenso einfach reinigen lassen wie leicht verschmutzte Wäsche. „Wir haben hier ja auch Bildungsangebote, unter anderem für Kinder. Und wenn die sich zum Abschluss die Hände mit Seifenkraut waschen dürfen, dann überziehen wir regelmäßig“, sagt sie. „Das Seifenkraut in den Händen zerreiben, dann mit Wasser aufschäumen – die Kids lieben es!“

Im Obstgarten finden wir neben Äpfeln, Birnen und Pflaumen auch unbekanntere alte Sorten wie Quitten und Mispeln –  kleine, runde Früchte, die sich gut für Marmeladen und Frucht­gelees eignen. Manuela Pelloth nennt sie die natürlichen Gummibärchen.

Das Kraut der Mutigen

Zum Abschluss gibt’s von ihr noch diesen leckeren Salattipp: Rucola, Löwenzahn und Beifuß. Noch was Rotes gewünscht? „Die rote Gartenmelde! Die hat jede Menge Vitamine und Mineralien, wie sie in heutigen Salaten leider nicht mehr vorkommen.“ Abgerundet wird die Rohkost mit Pfefferkraut, einer winterharten einheimischen Kresseart mit dem Aha-Effekt. Je länger man drauf kaut, desto intensiver wird der Geschmack. „Bei den Kindern frage ich dann immer: Wer will das Kraut der Mutigen kosten?“ Und dann schaut sie mich an: „Und wie stets mit Ihnen, sind Sie dabei?“