Gute Hörbuchproduktionen kommen nicht nur aus den großen Medienstädten, sondern auch aus dem Jerichower Land. In Lostau entsteht im Tonstudio von Daniel Ahrens echter Hörgenuss.


Lostau? Wo ist das denn? Das wird Daniel Ahrens es des Öfteren gefragt. Ein Tonstudio gehöre doch nach Berlin, Hamburg oder München, also dorthin, wo die ganz große Musik spielt – beschreibt Ahrens das noch immer vorhandene Denken in alten Schubladen. „Als ob man einem Hörbuch anhöre, wo es aufgenommen wurde.“ Für den 41-Jährigen, der aus dem Harzkreis stammt und viele Jahre in Magdeburg arbeitete, war der Umzug nach Lostau vor sieben Jahren allerdings eine ganz bewusste Entscheidung. Für die Ruhe des Jerichower Landes, die Natur, aber vor allem für die Möglichkeit, Arbeit und Leben, sein Studio Tonkonzepte un seine Patchworkfamilie mit sechs Kindern zu verknüpfen. „Ich selbst bin ein Dorfkind und habe mir das auch für meine Kinder gewünscht“, sagt er. Und fügt hinzu, dass sich auch im Kleinen große Töne produzieren lassen.


Klein, aber fein

Daniel Ahrens ist ausgebildeter Sportwissenschaftler und Pädagoge. Während seines Studiums jobbte er in einem Magdeburger Tonstudio. „Mein tontechnisches Hintergrundwissen stammt auch daher, dass ich die Musik meiner damaligen Band produziert habe.“ Zur Hörbuchwelt kam er als Quereinsteiger. „Als ich nach einem Kreuzbandriss den Sport an den Nagel hängen musste, gab es passenderweise zeitgleich das Angebot, hauptberuflich im Tonstudio zu bleiben und Hörbücher zu produzieren. Eine Zeitlang waren wir eines der meist produzierenden Hörbuchstudios Deutschlands.“

Sein heutiges kleines Studio „Tonkonzepte“ liegt mitten in beschaulicher Dorfidylle. „Die Großstädter würden ,mitten im Nirgendwo‘ sagen“, kommentiert er lachend. „Für meine Art zu leben ist Lostau jedoch der ideale Ort.“ Hier nimmt Ahrens Hörbücher auf und produziert sie – als CD oder zum Streamen. Vorrangig Krimis und Romane.

Wie genau das funktioniert? „Mit der Sprecherin oder dem Sprecher – in der Regel sind das Schauspieler – verschaffe ich mir zunächst einen inhaltlichen Überblick über das jeweilige Manuskript, das die Verlage mir schicken. Dann machen wir uns zusammen ans Recherchieren der Aussprachen.“ Im aktuell produzierten Hörbuch, einem schwedischen Krimi, gebe es gleich mehrere Passagen auf Schwedisch. „Davor hatte ich einen in Russland spielenden Krimi. Da arbeiten wir mit Muttersprachlern zusammen, die uns die Passagen vorher aufnehmen.“ Zur Aufzeichnung sind die Sprecher dann mehrere Tage in Lostau. 70 bis 100 Seiten pro Tag werden im akustisch isolierten Tonstudio aufgenommen. Im Nebenraum führt Ahrens dabei gleichzeitig Regie, liest das Manuskript mit, notiert sich Fehler und Anmerkungen, checkt den Sprachpegel auf dem Monitor.

Wenn die Zunge an den Gaumen klatscht

Eine besondere Herausforderung bei einer Hörbuchaufnahme sei es, verwendeten Wörter und Begriffe einheitlich zu betonen. Ahrens erklärt: „Kaffee, zum Beispiel – das kannst du so, so oder so aussprechen. Fürs Hörbuch ist wichtig, dass wir eine Lesart durchhalten.“ Eine weitere Schwierigkeit für die Vorlesenden: Bandwurm- und Schachtelsätze. „Geht ein Satz über eine halbe Seite oder mehr, muss er sehr überlegt betont werden, damit der Hörer den roten Faden nicht verliert.“ Bei geschriebenen Worten könne man zurückblättern, noch mal nachlesen, das funktioniere beim Hörbuch eben nicht. Beherrscht werden will auch die Dramaturgie der eingesetzten Stimmlage. Wie etwa beim lieblichen Einstieg in ein Buch, das dramatisch endet. „So bleibt die Spannung aufrecht erhalten“, erklärt Ahrens. Auch Dialekte, wie bei einem kürzlich produzierten Krimi aus München, müssen authentisch rüberkommen. „Dialekte sind seriös schwer nachahmbar, dazu suche ich mir dann Sprecher aus der Region.“ Und so kommen auch bekanntere Gesichter von Bühne und TV gelegentlich ins Jerichower Land und man sitzt dann als Gast im Lostauer Landgasthof vielleicht zufällig auch mal neben einem bayerischen Ex-„Rosenheim-Cop“.


Hat der Sprecher sein Stimmwerk vollbracht und alle Aufnahmen sind im Kasten, startet Ahrens in die zweite Etappe: den Schnitt. Für eine fertige Hörbuchstunde brauche er von der Aufnahme bis zum fertigen Master insgesamt sechs Stunden oder mehr. Um Fehler zu korrigieren, Geräusche wie Schmatzer, Magenknurren, das Seitenumblättern oder Zungenklacken zu entfernen. „Beim L zum Beispiel klatscht die Zunge an den Gaumen. Im Radio hört man das nicht, da liegt meist ein Musikbett darunter. Beim Hörbuch aber stört das auf Dauer. Diese Störgeräusche werden darum etwas entschärft.“

Ist das Hörbuch nach drei bis vier Wochen fertig, hat Ahrens es insgesamt dreimal gelesen: als Startschuss für den Überblick, während der Aufnahme und während des Schneidens. Was ihn an seiner Arbeit, die neben technischem Geschick auch Ausdauer, Einfühlungs- und Durchhaltevermögen erfordert, besonders reizt? „Zum einen lese ich Bücher, auf die ich selbst zum Teil gar nicht aufmerksam geworden wäre. So lerne ich unheimlich viel dazu. Zum anderen werden mir hier Geschichten erzählt, mir wird etwas vorgelesen, von starken Stimmen  – da gibt es schlechtere Jobs, oder?“