Seespargel? Mit ihrem Startup bringen Julian Engelmann (31) und Ken Dohrmann (34) das Superfood Salicornia ins Jerichower Land. Angebaut wird die Gemüsepflanze in Burg. Nirgendwo sonst in Deutschland gibt es das bisher.

Der Europäische Queller oder Salicornia europaea, wie Botaniker den Seespargel nennen, liebt es feucht und salzig. Dementsprechend findet man das blattlose Gewächs an salzreichen Küsten, etwa im Wattenmeer an der Nordsee. Hier galt die wildwüchsige Pflanze einst als Arme-Leute-Essen – um dann, zumindest hierzulande, immer mehr in Vergessenheit zu geraten. Zu Unrecht. Denn Seespargel ist reich an Vitaminen, Mineralien, Proteinen und Ballaststoffen. In Ländern wie Frankreich, Holland, Spanien oder Israel hat er sich längst auf den Speiseplänen etabliert. Geht es nach Julian Engelmann und Ken Dohrmann, den beiden Gründern der Salicornia GbR, soll das Superfood auch hier und jetzt sein Nischendasein verlassen.

Herr Engelmann, wie schmeckt er denn eigentlich, der Seespargel? Und wie mögen Sie ihn am liebsten?

Knackig, salzig, lecker – so schmeckt er. Genießen kann man ihn frisch oder als Salz auf der Butterstulle, im Salat genauso wie im Rührei oder zu Bratkartoffeln. Alles, was von Salz und Kräutern profitiert, profitiert ebenso vom Seespargel. Wir beliefern aber auch ein Restaurant, das daraus zum Beispiel Seespargelparfait macht. Ich persönlich mag Salicornia total gern in der Kombination süß und salzig, etwa zusammen mit Erdbeeren und Pinienkernen. Aber auch als Snack für zwischendurch oder am Abend zum Glas Rotwein.

Sie sind studierter Geologe. Wieso Seespargel?

Ich habe in Schottland zusätzlich Environmental Entrepreneurship (Umwelt-Unternehmertum) studiert und dort zum ersten Mal Seespargel gegessen. Lecker und spannend. Also habe ich mich näher mit der Pflanze beschäftigt. Zumal mir damals schon vorschwebte, mich selbstständig zu machen. Und warum nicht mit einem Produkt, das anderswo bereits funktioniert. Allerdings fehlte mir dazu das landwirtschaftliche Know-how. Als ich dann Ken kennenlernte, der studierter Landwirt ist, konnte diese Idee weiter reifen.

Julian Engelmann stammt ursprünglich aus Frankfurt am Main, Ken Dohrmann aus der Nähe von Hannover. Beide verschlug es zu ihren Partnerinnen nach Magdeburg. Die damit einhergehende Gelegenheit zum beruflichen Neuanfang wollten sie nutzen, um etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Beim Seespargel ergänzen sich die Kompetenzen der beiden gut. Engelmann bringt unter anderem Vertriebserfahrungen mit, Dohrmann das agrarwissenschaftliche Know-how.

Unterstützung bei der Umsetzung ihrer Idee fanden sie über das Förderprogramm Europäische Innovationspartnerschaft EIP. Das Programm verzahnt Forschung und landwirtschaftliche Praxis und verfolgt damit das Ziel, innovative, nachhaltige und ressourcenschonende Ideen für die Zukunft zu entwickeln. Den beiden Startup-Gründern gab es die Möglichkeit, zunächst Erfahrungen zu sammeln: zu Anbau, Wachstum und Ernte von Salicornia genauso wie zur Entwicklung von Vermarktungsstrategien. Mit ihrer gegründeten Grow Up Salicornia GbR erforschen sie neben der Kultivierung der Salzpflanze gleichzeitig deren Vertriebsmöglichkeiten. Mit ihrer Salifaktor GbR, einer Ausgründung, haben sie bereits eine Vermarktung von frischem Seespargel und der Gewürzvariante „Sals“ aufgebaut.

Ins Jerichower Land kamen die beiden auf der Suche nach Gewächshäusern. Fündig wurden sie in einer alten, familiengeführten Burger Gärtnerei, in der nicht mehr alle Gewächshäuser bewirtschaftet wurden. Bevor hier der erste Seespargel wachsen konnte, musste entrümpelt, entkernt und umgebaut werden. 2021 starteten Engelmann und Dohrmann dann in ihre erste eigene Seespargel-Saison.

Was sind Ihre größten Herausforderungen beim Anbau, Herr Engelmann?

Dass uns beim Salicornia-Anbau kaum jemand helfen konnte. Seespargel hier vor Ort – das ist neu, eine echte Nische. Es geht ja nicht nur darum, Samen in die Erde zu bringen und ein bisschen zu gießen. Es geht um eine gleichbleibend hohe Qualität. Wie aber gelingt die? Wie wirken sich Salzgehalte aus? Wie schaffen wir es, dass der Salzgehalt der Pflanze trotz unterschiedlicher Temperatur- und Lichteinflüsse möglichst konstant bleibt? Das alles mussten wir von der Pike auf lernen. Und ja, dabei haben wir auch Lehrgeld bezahlt. Läuft der Anbau, müssen Kunden überzeugt, der Vertrieb organisiert werden. Die Großhändler kennen das Produkt zwar, wollen aber natürlich Proben der Ware sehen, die sie vertreiben sollen. Die aber gibt’s logischerweise erst nach der Ernte. Erntestart und Vertrieb – das alles spielt sich in einem sehr engen Zeitfenster ab. Schließlich soll der Seespargel frisch und knackig in die Küchen gelangen. Hinzu kommt, dass das Produkt hier vor Ort noch zu wenig bekannt und damit sehr erklärungsbedürftig ist.

Wer sind Ihre Kunden?

Hauptsächlich die gehobene Gastronomie. Die kennt die Pflanze und weiß sie zu verarbeiten. Frischen Seespargel finden Endverbraucher im Jerichower Land aber auch zum Beispiel im Edeka an der Fischtheke.

Wie und wie oft wird geerntet?

Im Februar bringen wir das Saatgut in die Erde. Das braucht dann aufgrund von Licht und Temperaturen in dieser Jahreszeit zwölf Wochen. Säen wir im Mai, gedeiht der Seespargel in acht Wochen. Dann wird er abgeschnitten und kann nach vier bis sechs Wochen ein zweites Mal geerntet werden, bevor wir die Felder umbrechen und wieder mit der Aussaat beginnen. Geerntet wird das Salzgemüse im Übrigen mit einer Maschine aus dem Teepflanzenanbau, die nur die Spitzen abschneidet – eine Art großer Rasierapparat.

Was wünschen Sie sich für Ihren Seespargel?

Dass Salicornia nicht mehr als Exot wahrgenommen wird, dass er in mehr Küchen Einzug hält, dass die Leute ihn einfach mal ausprobieren und so auf den Geschmack kommen. Wie oft begegnen wir dem Sprichwort „Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht.“ Viele sagen uns, wir mögen keinen Spargel, also probieren wir erst gar nicht. Dabei hat unsere Salzpflanze geschmacklich gar nichts mit dem Namensvetter zu tun. Da liegt also noch jede Menge Aufklärungsarbeit vor uns, bis Seespargel in aller Munde ist.