Der Komponist Michael Vajna liebt und ­kreiert Musik, die sich abseits der gewohnten Hörerlebnisse bewegt. In Parchen entlockt er etwa der alten Orgel Klänge jenseits von klassischer Kirchenmusik.


„Alles um uns herum ist Musik“, sagt Michael Vajna. Überhaupt dreht sich bei dem 37-Jährigen das Leben seit jeher um Musik. „Mit sieben Jahren habe ich klassisches Klavierspiel gelernt.“ So richtig begeistern konnte ihn das Tastenspiel allerdings erst unter den Fittichen seines späteren Klavierlehrers, der Jazz und Popularmusik unterrichtete. „Daraufhin habe ich angefangen zu Hause zu experimentieren, Klänge auszuprobieren und auszuloten, bin später Dauergast im Jazzclub unseres Städtchens geworden und verbrachte schließlich sehr viel Freizeit mit Musik.“

Ab der Oberstufe wurde er dann für größere Projekte angefragt. „Da gab‘s auch das erste Geld fürs Musikmachen“, erinnert er sich. Es folgten viele Jahre auf Tourneen im In- und Ausland und das Leben in diversen Großstädten – mit viel Stress und wenig Pausen. „Das Musikgeschäft ist ein schnelles, ruheloses Geschäft“, sagt er. Später studierte Vajna Musik und arbeitete in einem Tonstudio.

Den Stecker gezogen

Seit vier Jahren wohnt Vajna nun in Parchen, gleich neben der Kirche, in der auch die altehrwürdige Friedrich-Wilhelm-Wäldner-Orgel von 1840 der Parchener Kirchengemeinde steht. „Wir waren auf der Suche nach einem alten Haus, in dem wir als Familie leben und arbeiten können.“ Leben und Arbeiten im Jerichower Land bedeutet für Vajna „weniger städtischen Stress und dafür ganz viel Natur“. Das Landleben entschleunige, und das sei gut. „Es lässt zu, sich auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren, dem natürlichen Tagesrhythmus  zu folgen, das Zwitschern der Vögel zu hören, nachts die Sterne der Milchstraße zu beobachten.“ Für Vajna gute Gründe für den Umzug, der auch seine künstlerische Arbeit prägt.

Für die Musik entstehen dadurch völlig neue Zugänge. Zuerst habe er ziemlich viel Popmusik und „schnelle Produktionen für den Rundfunk“ gemacht. „Ich war ja immer mit Bands zusammen. Wir haben rumgehangen und eben auch Musik gemacht“, erzählt er. Heute widme er sich eigenen Ideen, die „mehr Zeit zum Reifen“ brauchen. „Ich arbeite deutlich fokussierter, setze mich inhaltlich intensiver mit einem Projekt auseinander. Modische Strömungen tangieren mich allenfalls, nehmen mein Arbeiten aber nicht mehr ein. Was nicht zuletzt an der Ruhe dieser wunderbaren Natur liegt. Und ich habe Zeit, unbefangen unterschiedliche Musikströmungen zu studieren. Da entstehen ganz neue, unerwartete Sachen, die mich selbst überraschen.“

Überraschend unerwartet

Das Orgelspiel habe ihn schon immer begeistert. „Anfangs kannte ich die Kirchenorgel – wie sicher die meis­ten von uns – nur als klassisches Kircheninstrument.“ Heute experimentiert Vajna mit ihr, probiert sich aus und entlockt dem Klangkörper ganz neue, weniger vertraute, aber gleichwohl faszinierende Töne. „Ich entdecke die Orgel immer wieder neu“, sagt er. Wie, das zeigt unter anderem sein Projekt „Neue Sakrale Musik für die Kirchenorgel“ und das daraus resultierte Album „All“, das bereits in einigen Dorfkirchen und im Kloster Jerichow zu hören war. „Orgelmusik ohne die Strenge klassischer Kirchenmusik“, beschreibt Vajna. „Ich stelle mir vor, dass Leute in die Kirche kommen und hier eine neue musikalische Erfahrung machen. Sie hören zu, können die Klänge auf sich wirken und ihre Gedanken kreisen lassen.“

Bei seinem Spiel auf der Orgel nutzt Vajna deren extrem breites Klangspektrum, mit dem sich vielfältigste Emotionen ausdrücken lassen: von beschwingt bis traurig oder gar bedrohlich, von warmen bis zu kalten Tönen. „Eine Orgel lebt auf ihre ganz eigene, faszinierende Weise und kommt dabei fast gänzlich ohne Elektronik aus. Jedes Rauschen, jede Luftzufuhr, jedes Klappern ist zu hören. Eine Orgel ist unglaublich lebendig! Man kann förmlich Lebendigkeit erzeugen.“

Michael Vajna an der Orgel

Mit seinem Projekt „Curie Eleison“ zum Beispiel, das vom Landesmusikrat Berlin als offizieller Programmpunkt zum „Jahr der Orgel 2021“ gezeigt wurde, hat er den Fotografien von geröntgen Pflanzen des niederländischen Künstlers Arie van’t Riet mit seinen Orgelklängen Leben eingehaucht.

Seine Zuhörer reagieren ganz unterschiedlich darauf: „Für die einen hört sich das Album nach dem Rauschen eines Staubsaugers an, andere sind erstaunt über das ungewohnte Klangerlebnis.“ In den Ohren regelmäßiger Kirchgänger mögen die Klänge eher befremdlich klingen. Für andere sei es aufregend und neu. Für Vajna verkörpert es den Versuch, „Hörgewohnheiten auch mal zu aktualisieren“. Da halte er es mit den Worten von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dass Kunst eben durchaus auch die Aufgabe habe, Grenzen zu sprengen. „In jedem Dorf stehen bedeutende akustische und kulturelle Räume, zum Teil mit tausendjähriger Geschichte, die Beachtung verdient haben. Die in unserer schnell­lebigen Zeit eine Möglichkeit bieten, anzukommen, durchzuatmen, sich zu besinnen.“ Gerade in der Pandemie hätten das zahlreiche Menschen in Anspruch genommen.

Safari der Ohren – so klingt unser Dorf

Mit Orgel und Klavier erschöpft sich Vajnas Art zu musizieren aber keineswegs. „Alle Geräusche, die uns umgeben, können Klangerlebnisse erzeugen“, sagt er. „Alles um uns herum ist Musik. Was wir heute unter Musik verstehen, ist ein jahrtausendealtes Zusammenspiel zwischen Geräuschen, unserer Wahrnehmung und unserer Fantasie. Denken Sie an Flöten, die den in Gräsern streichenden Wind imitieren, oder an den Hummelflug von Rimski-Korsakow.“ „Safari der Ohren“ heißt sein vom deutschen Musikrat gefördertes Projekt. Es zeigt, wie Parchen, wie das Jerichower Land klingt. „Dazu haben wir – mit verschiedensten Teilnehmern aus der Umgebung und begleitet von einer Sängerin und einem Schlagzeuger – eine Tour durch unser Dorf gemacht, waren im Wald, auf der Straße, auf dem Spielplatz, um überall Töne zu sammeln und zu erzeugen. Zum Beispiel durch das Trommeln auf Bäume, Äste oder Totholz in ganz unterschiedlichen Rhythmen. Ich schlage zweimal, du dreimal. Und hör mal, wie das klingt.“ Holzgegenstände wurden bespielt wie Xylophone, die Rutsche auf dem Spielplatz wurde zum Schlaginstrument. Besonders die Kids seien mit großer Begeisterung dabei gewesen – und haben nicht selten gestaunt. Vajna hat die Klänge aufgenommen und künstlerisch bearbeitet. Daraus entstand die „Safari der Ohren“.

Egal, welches Projekt – Vajnas Arbeit macht deutlich, dass sich selbst Menschen für Klänge  begeistern lassen, die sonst eher keinen Zugang dazu finden.

ZITAT

„Musik ist für mich eine unendliche Geschichte. Du kannst gar nicht alles hören,  erfassen und verstehen in einem kurzen Menschenleben.“  Michael Vajna – Musiker, Komponist, Produzent

Reinhören

Musik von Michael Vajna gibt es hier: www.curie.eleison.de und www.safari-der-ohren.de