Enno von Katte hat seinen Bankerjob gegen Gummistiefel eingetauscht und bewirtschaftet jetzt das Gut Wilhelmsthal – einen ehemaligen Familiensitz.

„Den kennt doch hier jeder“, sagt ein Passant in Neuenklitsche, als wir nach Enno von Katte fragen. Kein Wunder, ist die Familie doch bereits seit über 500 Jahren im Elb-Havel-Winkel ansässig. Seinerzeit mit Betrieben in sieben Orten. Einer davon war und ist das Gut Wilhelmsthal in Klitsche. Hier treffen wir den 62-Jährigen in Gummistiefeln und Arbeitslook. Seit 1992 sei auch er „zurück in der alten Heimat“, sagt er und erzählt von damals.

Seit 1553 in Klitsche

„Mein Vater hatte seinen Familiensitz in Hohenkamern, 35 Kilometer nördlich von hier. Bis 1945.“ Nach der Enteignung habe es ihn nach Ostfriesland verschlagen, wo Enno und seine zwei älteren Brüder geboren und in der Landwirtschaft großgeworden sind. „Mein älterer Bruder übernahm dann den elterlichen Hof. Ich hatte inzwischen in Göttingen und München Landwirtschaft studiert. Aber ohne Hof? Da musste ich mir was Neues überlegen“, so der Diplom-Agraringenieur. So sei er erst mal Banker in Hamburg geworden.

„Es gab jedoch immer enge Beziehungen in die verlorengegangene Heimat“, sagt er. Die Tatsache, dass sein Vater die Erinnerungen stets wachgehalten habe, weckte auch seine Neugierde. Am 1. Mai 1990 kam er zum ersten Mal nach Wilhelmsthal., um das Gutshaus zu besuchen, das einst seiner Patentante gehörte und das in der DDR Kinderferienlager und Stützpunkt der Zivilverteidigung war. 1992 ergab sich die Gelegenheit, das Haus vom Landkreis Genthin zu kaufen – mit der Verpflichtung, hier einen landwirtschaftlichen Betrieb aufzubauen. „Das haben wir gemacht.“ Wir: Das sind seine Familie und Mitarbeiter. Zwei seiner fünf inzwischen erwachsenen Kinder seien hier geboren. „Und ohne meine Frau Friederike, für die bereits vier Wochen nach unserem Umzug feststand, dass sie hier nicht mehr weg wolle, wäre das alles ohnehin undenkbar gewesen“, unterstreicht von Katte. Auch im Ort seien sie gut aufgenommen worden. „Wir haben viele Freunde gefunden, gehen gemeinsam zur Jagd, in die Kirche, engagieren uns für unser Dorf.“

Von Katte selbst arbeitete zunächst weiter als Banker. Inzwischen in Magdeburg, wo er als Niederlassungsleiter seiner Bank mittelständisches Firmenkundengeschäft finanzierte. „Von Montag bis Freitag war ich in der dortigen Niederlassung. Wenn man, wie ich in der Bank, Wirtschaftsunternehmen und darunter zahlreiche landwirtschaftliche Betriebe finanziert, dann steckt man fest drin im Thema.“ Dieses Wissen sei ihm beim Wiederaufbau von Wilhelmsthal sehr zugute gekommen. „So konnten wir hier unsere Landwirtschaftsbetriebe gründen.“

Mit Know-how und ganz viel Herzblut

Seit Anfang 2019 ist Enno von Katte nun Haupterwerbslandwirt. „Und Herzblutlandwirt“, fügt er hinzu. „Denn man muss brennen, für das, was man macht.“ Und genau das tut er. Darum fiel es ihm auch nicht schwer, den Bankerjob hinter sich zu lassen. „Weil nach 30 Jahren mal eine Veränderung anstand. Meine Mutter sagte immer, wenn’s am schönsten ist, soll man sich an was Neues wagen. Habe ich beherzigt. Unsere fünf Kinder waren inzwischen alle mit dem Studium durch, da konnte ich mir diese neue Herausforderung auch leisten“, sagt er schmunzelnd.

Seither hat sich sein Leben komplett verändert. „Ich fahre zum Beispiel nicht mehr 60.000 Kilometer im Jahr, verbringe nicht Stunde um Stunde in Meetings, bei denen nichts rauskommt. Ich treffe mich nur noch mit den Menschen, mit denen ich gern zusammen bin. Solche Dinge gönne ich mir jetzt und das ist toll.“

Vor Ort hat Enno von Katte inzwischen drei Betriebe installiert. Der für Ackerbau, das Gut Wilhelmsthal, ist der Hauptbetrieb. „Mit mir als Eigentümer und meinem Sohn Enno Wilhelm als Betriebsleiter. Alles, was mit Pflanzenproduktion zu tun hat, obliegt ihm.“ Der Junior habe zudem einen eigenen Betrieb: das Wilhelmsthaler Landgut – fürs Grünland und die Aberdeen-Angus-Zucht. Als Ökobetrieb wirtschaftet das Landgut ökologisch-organisch. Zudem gebe es noch die Wilhelmsthaler Agrar Dienste KG, die das Personal beschäftigt, die Technik hält und Agrardienstleistungen erbringt. „Insgesamt bewirtschaften wir rund 1.000 Hektar Ackerfläche, 200 Hektar Grünland sowie 200 Hektar Wald“, sagt Enno von Katte. Gerade in den zurückliegenden drei, vier Jahren seien die Unternehmen deutlich gewachsen. „So haben wir uns etwa diversifiziert, bauen jetzt viel mehr Früchte an.“ Das sei vor allem dem Junior zuzuschreiben, der hier künftig das Gesamtruder steuern will.

„Zu wissen, dass ich einen Nachfolger für das Gut habe, der ebenso für die Landwirtschaft brennt, das ist mein großes Glück.“ Mit 65 will von Katte senior seine Verantwortung für das Gut an den Nagel hängen. „Dann habe ich 30 Jahre hier gewirtschaftet, Enno kann die nächsten 30 Jahre angehen“, sagt der Senior. Er erklärt, dass er seine Arbeit, sein Engagement als Leihgabe für eine Generation verstehe – „mit der Verantwortung, sie dann an die nächste Generation weiterzugeben.“ Nur so gelinge es, über 500 Jahre in einem Dorf zu wirtschaften.

die nächste Generation

Schon mal was von Emmer Zweikorn, Aberdeen Angus oder Crowdbutchering gehört? Klingt außergewöhnlich? Nicht auf Gut Wilhelmsthal. Enno Wilhelm von Katte erklärt: „Emmer Zweikorn, ein Vorfahre des heutigen Brotweizens, wird von uns als deutlich verträglichere Weizensorte angebaut. Die schwarzen Vierbeiner, die sich auf den biologisch bewirtschafteten Wiesen und Weiden tummeln, sind unsere Aberdeen Angus, die für hochqualitatives Bio-Rindfleisch sorgen. Mit dem Crowdbutchering kann man sich am Kauf einer Kuh beteiligen. Die wird bei uns nämlich erst dann geschlachtet, wenn auch wirklich alles verkauft ist.“

Das Credo des Katte-Juniors: Gesunder Boden = gesunde Pflanzen = gesundes Tier = gesunder Mensch! „Mir ist wichtig, nachhaltig zu wirtschaften und dafür auch neue Ansätze und Ideen zu nutzen“, so der 28-jährige Landwirt.

Produkte Lokal vertreiben

Was seine Landwirtschaft dabei anders macht als die vieler Nachbarn? „Zum Beispiel, dass wir uns an Produkten probieren, die wir nicht auf dem Weltmarkt, sondern lokal verkaufen können. Für unser Getreide sprechen wir mit lokalen Bäckereien oder Mühlen.“ Sein Ziel dabei: Das, was hier vor Ort produziert wird, soll einen 100-Kilometer-Umkreis nicht verlassen. „Um die Böden zu entlasten, setzen wir auf eine vielfältige Fruchtfolge mit zehn Kulturen. Zudem reduzieren wir den Einsatz von Chemie, wirtschaften bodenschonend, wassersparend und humusaufbauend. Im Grünland haben unsere Tiere das schönste Leben, das sie haben können. Sie sind das ganze Jahr draußen. Mit ganz viel Platz“, nennt von Katte weitere Beispiele und wird dabei von seinem blinkenden Handy unterbrochen. Der Mitarbeiter auf dem Feld hat ein Anliegen. Von Katte junior reagiert sofort und zeigt uns dann in der App, wo der Mitarbeiter mit seinem Traktor gerade arbeitet. „Ich kann sein Display im Traktor von hier aus fernsteuern, kann ihm Infos schicken, kann sämtliche Daten zum Fahrzeug und zur Arbeit auslesen.“ Auch so funktioniere Landwirtschaft bei ihm.

Seinem Vater, dem großen Vorbild, sei er dankbar dafür, sich hier auf Gut Wilhelmsthal verwirklichen und mit neuen Ideen ausprobieren zu können. „Ich war während Ausbildung und Studium häufig nicht voll überzeugt, habe Dinge anders gesehen, wollte sie besser machen. Hier kann ich genau das umsetzen.“ Und damit die Weichen für die nächsten 500 Jahre stellen? „Na mindestens“, sagt er und verabschiedet sich – die Landwirtschaft ruft.